
Junge Unternehmen und KMU bieten für den öffentlichen Sektor ein enormes Potenzial. Sie bringen frische Perspektiven und innovative Technologien in die Beschaffungsprozesse ein. In Bereichen wie IT, Digitalisierung und Automatisierung können sie eine entscheidende Rolle spielen, um öffentliche Dienstleistungen zu modernisieren und effizienter zu gestalten.
Allerdings sind Innovationen zugleich ein knappes Gut. Vor allem für den öffentlichen Sektor. Die meisten Datenerhebungen, wie beispielsweise die Vergabestatistik und wissenschaftliche Auswertungen der Universität der Bundeswehr in München, weisen auf eine kontinuierlich sinkende Anzahl an eingehenden Angeboten, bei zugleich steigendem Beschaffungsvolumen hin. Aber warum findet zwischen jungen Unternehmen, KMU und dem öffentlichen Sektor kein „Match“ statt?
Herausforderungen für Startups, KMU und öffentliche Auftraggeber
Fasst man bestehende Erhebungen wie den Vergabereport Startups und KMU oder die 450 Unternehmensbefragungen des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie zusammen, sind es drei wesentliche Aspekte, die den öffentlichen Zugriff auf die Leistungen von jungen Unternehmen und KMU erschweren:
1. Die Struktur und Inhalte der bestehenden öffentlichen Ausschreibungssystematik behindern, dass Nachfrage und Angebot zueinander finden.
Zum einen ist es die Vielfältigkeit der Vergabeplattformen. Junge Unternehmen und KMU würden häufiger nach öffentlichen Ausschreibungen suchen, wenn es eine zentrale Ausschreibungsplattform gäbe.
Zudem ist die Auffindbarkeit von passenden Ausschreibungen auf den Vergabeplattform teiIweise erschwert, da bei innovativen Leistungen entweder die aktuellen CPV-Codes nicht passen oder Leistungen mit unterschiedlichen oder sogar falschen Bezeichnungen ausgeschrieben werden.
Eine weitere Hürde dafür, dass junge Unternehmen bzw. KMU nicht mit dem öffentlichen Sektor zusammenfinden, sind die notwendigen Eignungsnachweise bzw. die dort geforderten Referenzen. Nicht selten schließen die gewählten Referenzen die Beteiligung von jungen Unternehmen und KMU direkt aus, auch weil das Wissen über die Themen Eignungsleihe oder Bietergemeinschaften bei den Unternehmen nicht ausreichend vorhanden ist.
Auch verliert der öffentliche Auftraggeber potenzielle junge Unternehmen und KMU, wenn die ausgeschriebenen Leistungen zu „eng“ beschrieben sind. Für die Mehrheit aller jungen Unternehmen und KMU wäre es für ihre Teilnahme an öffentlichen Aufträgen wichtig, dass Leistungsbeschreibungen offener gestaltet werden würden. Gleiches gilt auch für die Verfahrenswahl, also hin zu ergebnisoffeneren Vergabeverfahren, wie beispielsweise dem Verhandlungsverfahren.
2. Die Attraktivität der öffentlichen Hand als Auftraggeber ist für junge Unternehmen und KMU relativ niedrig.
Über 90 % aller jungen Unternehmen und KMU schätzen den Zeitaufwand für die Suche nach passenden öffentlichen Ausschreibungen ggü. dem Marketing/Vertriebsaufwand bei allen anderen Kunden Ihrer Leistungen und Produkte höher ein, was gerade bei Unternehmen, die schnell wachsen wollen, unattraktiv wirkt.
Gleiches gilt für die Teilnahme an öffentlichen Ausschreibungen generell. Die Rentabilität öffentlicher Aufträge gegenüber anderen vergleichbaren Aufträgen wird von knapp ¾ der jungen Unternehmen und KMU als niedriger eingeschätzt. Vor allem drückt der erwartete Wettbewerb dabei die Preiskalkulation.
Zudem wird der Aufwand einer Angebotsabgabe bei öffentlichen Ausschreibungen wesentlich höher eingeschätzt, als bei vergleichbaren Aufträgen aus der Wirtschaft. Ergänzt wird die Sichtweise auf eine geringe Rentabilität durch die Einschätzung von über 50 % der jungen Unternehmen und KMU, dass die Erfolgswahrscheinlichkeit einen Zuschlag zu erhalten, bei unter 20 % liegt.
Die Hauptmotivation für die Teilnahme an öffentlichen Ausschreibungen liegt entsprechend häufig nicht in monetären Zielen, sondern in strategischen Überlegungen. Unternehmen nutzen öffentliche Aufträge, um sich langfristige Vorteile zu sichern – beispielsweise, indem sie Produkte oder Dienstleistungen weiterentwickeln und dabei die Anforderungen des öffentlichen Auftrags als Test- oder Entwicklungsplattform nutzen.
Insgesamt eine nachvollziehbare und zugleich paradoxe Situation: Der Wettbewerbsgrundsatz des Vergaberechts, also die Situation, dass sich möglichst viele Unternehmen an einer öffentlichen Ausschreibung bewerben können, beispielsweise durch ein offenes Verfahren, kann in der Innovationsbeschaffung zu einer Reduktion von Wettbewerb führen.
3. Der Einstieg von jungen Unternehmen und KMU als Auftragnehmer ist mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht erfolgreich.
Die meisten Jungunternehmen und KMU beschäftigen sich in der Regel zu irgendeinem Zeitpunkt mit öffentlichen Ausschreibungen. Wenn es gut läuft, finden Sie zu diesem Zeitpunkt eine Ausschreibung auf einem der E-Vergabe-Portalen (vermutlich ein offenes Verfahren oder eine öffentliche Ausschreibung) und bewerben sich darauf.
Dabei ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass Sie den Zuschlag nicht erhalten. Sei es aufgrund von fehlendem Wissen über den öffentlichen Einkaufsprozess, vergaberechtlichen Formfehlern, wegen des schlechteren Angebotes oder, schlimmstenfalls, die Ausschreibung ist bereits „vorvergeben“, d.h. die Ausschreibung ist so konzipiert, dass der Zuschlag auf einen bevorzugten Anbieter erfolgt.
Dies führt schnell zu Frustration. Aus Sicht der Unternehmen wurden viele Aufwände unternommen, man war nicht erfolgreich und, was den Frust durchaus steigert, man weiß noch nicht einmal richtig, warum man nicht gewonnen hat, denn selten findet nach dem erteilten Zuschlag ein Austausch mit den unterlegenen Bietern statt.
Solche Negativerfahrungen führen dazu, dass Unternehmen eine erneute Teilnahme an öffentlichen Ausschreibungen gründlich überdenken. Spätestens nach einem zweiten gescheiterten Versuch ziehen sich viele endgültig zurück. Diese Unternehmen stehen der öffentlichen Hand damit langfristig nicht mehr als potenzielle Auftragnehmer zur Verfügung.
Lösungsansatz Aufwandsreduktion für alle am Ausschreibungsprozess Beteiligten
Eine einheitliche E-Vergabeplattform für ganz Deutschland wäre ein großer Fortschritt. Sie würde nicht nur die Teilnahmebereitschaft innovativer Unternehmen an öffentlichen Ausschreibungen erhöhen, sondern auch wertvolle Einkaufsdaten liefern, die strategisch genutzt werden könnten. Diese Daten könnten die Ausrichtung der öffentlichen Beschaffung maßgeblich verbessern. Leider gibt es bislang keine konkreten Bemühungen, ein solches Projekt umzusetzen.
Als praktikable Alternative zur einheitlichen Plattform bietet sich eine stärkere Fokussierung auf die Aufwandsreduktion für junge Unternehmen und KMU bei der Erstellung von Vergabeunterlagen und der Verfahrenswahl an. Dies erfordert jedoch einen Perspektivwechsel: Weg von der Frage, welche Anforderungen ideal für den Auftraggeber wären, hin zu der Frage, welche Inhalte und Anforderungen jungen Unternehmen und KMU die Teilnahme erleichtern.
Zur Umsetzung dieser Fokussierung könnten die folgenden zehn Maßnahmen als Grundlage dienen:
- Lieferantenmanagement: Aufbau einer zentralen Datenbank mit jungen Unternehmen und KMU.
- Proaktive Kommunikation: Frühzeitige und transparente Ankündigung geplanter Beschaffungsvorhaben, etwa durch eine Jahresplanung (Roadmap) auf der Webseite.
- Markterkundung: Integration junger Unternehmen und KMU durch gezielte Anfragen im Rahmen der Markterkundung.
- Bekanntmachungsstrategie: Angabe des geschätzten Auftragswerts und Verwendung klarer, innovationsfreundlicher Begriffe in Ausschreibungen, um die Passgenauigkeit zu erhöhen.
- Wahl des Vergabeverfahrens: Nutzung von Verfahren mit geringerem Aufwand für Bieter, wie das nicht offene Verfahren, Direktaufträge oder Verhandlungsvergaben.
- Fristen: Verlängerung der Standardfristen, um jungen Unternehmen und KMU mehr Zeit für die Angebotserstellung zu geben.
- Eignungs- und Leistungskriterien: Verwendung niedrigschwelliger Referenzen und funktionaler Leistungsbeschreibungen, die Spielraum für innovative Ansätze lassen.
- Aufwandsentschädigung: Einführung eines monetären Ausgleichs für qualifizierte Bewerber, die Angebote einreichen.
- Zuschlagsverfahren: Proaktive Kommunikation mit unterlegenen Bewerbern, um Transparenz und Lernchancen zu fördern.
- Kommunikationskampagnen: Positionierung des öffentlichen Sektors als attraktiver Partner, beispielsweise durch Veranstaltungen wie den „City Demo Day“ in München.
Dies sind nur einige der möglichen Maßnahmen, um den Aufwand für die Teilnahme von Startups und KMU zu reduzieren. Ob diese oder andere Maßnahmen und Methoden erfolgreich umgesetzt werden können, liegt vor allem an einem zentralen Einflussfaktor des öffentlichen Sektors: Die öffentliche Organisation selbst.