
Aktuell werden die Wertgrenzen im Unterschwellenbereich in den Bundesländern immer weiter angehoben, bis hin zu einem geplanten Wegfall in Nordrhein-Westfalen. Das Anheben/Aufheben der Wertgrenzen führt zu Unsicherheiten in der Anwendung und je stärker wir uns von Einkaufsregeln wegbewegen, desto mehr bewegen wir uns von einer Zukunft der Innovationen weg.
Was passiert, wenn die Einkaufsregeln zu stark vereinfacht werden oder wegfallen?
„Der Bundesrechnungshof kommt – wie schon in dem genannten Bericht zum Bereich der Lieferungen und Leistungen – zu dem Ergebnis, dass die mit den Vergabeerleichterungen verfolgten Ziele im Wesentlichen nicht erreicht wurden. Stattdessen mussten deutliche Nachteile beim Wettbewerb und bei der Wirtschaftlichkeit sowie eine erhöhte Korruptions- und Manipulationsgefahr in Kauf genommen werden.“
So steht es auf Seite 4 im Bericht nach § 99 BHO vom 9. Februar 2012 des Bundesrechnungshofs über die Auswirkungen der Vergabeerleichterungen des Konjunkturpakets II auf die Beschaffung von Bauleistungen und freiberuflichen Leistungen bei den Bauvorhaben des Bundes.
Und was ist naheliegender, als aus der Geschichte zu lernen und davon auszugehen, dass auch heute das gleiche passieren würde, wenn man die öffentlichen Einkaufsregeln zu stark vereinfacht?
Und wenn eine Vereinfachung zu:
- Nachteilen beim Wettbewerb
- Nachteilen bei der Wirtschaftlichkeit sowie
- einer erhöhten Korruptions- und Manipulationsgefahr
führt, dann hat das tiefgreifende Folgen – gerade für die Innovationsbeschaffung im öffentlichen Sektor. Warum?
1. Innovation braucht Vielfalt – und Vielfalt entsteht durch Wettbewerb
Innovationen entstehen häufig außerhalb etablierter Strukturen – in Startups, in mittelständischen Unternehmen, in interdisziplinären Kooperationen. Diese Akteure brauchen faire Chancen, um am Verfahren teilzunehmen. Werden die Regeln zu stark vereinfacht oder gar umgangen, profitieren oft nur die „üblichen Verdächtigen“:
marktgängige Anbieter, die regelmäßig die öffentliche Hand bedienen. Der Marktzugang für neue und kreative Anbieter bleibt versperrt – und damit bleiben auch innovative Lösungsansätze außen vor.
Je weniger transparent und offen das Verfahren, desto unwahrscheinlicher ist es, dass „frisches Denken“ durchdringt. Wettbewerb ist daher kein Selbstzweck, sondern eine essenzielle Voraussetzung für Innovationsfähigkeit.
2. Routine schafft Stillstand – nicht Fortschritt
Innovationsprozesse sind komplex, riskant und mit Unsicherheiten behaftet. Sie brauchen einen Rahmen, der auf Leistung, Eignung und Qualität basiert – nicht auf persönlichen Beziehungen, Gefälligkeiten oder politischer Opportunität.
Routine hingegen bevorzugt bekannte Strukturen, minimiert Unsicherheit (zum Vorteil weniger) und bestraft kreative, aber noch nicht etablierte Ansätze. Das Ergebnis: Ressourcen fließen nicht dorthin, wo der größte Nutzen oder die beste Lösung liegt, sondern dorthin, wo es die engsten Verbindungen gibt.
3. Intransparenz untergraben Vertrauen – intern wie extern
Innovationsbeschaffung verlangt ein hohes Maß an Vertrauen – sowohl innerhalb der Verwaltung als auch gegenüber der Öffentlichkeit und gegenüber den Anbietern. Fehlt es an Transparenz und Nachvollziehbarkeit, leidet dieses Vertrauen massiv. Besonders innovative Projekte, die gesellschaftlich sensibel sind (z. B. im Bereich der Digitalisierung, Energie oder Mobilität), sind auf öffentliche Akzeptanz angewiesen.
Zudem: Wer als Verwaltung oder öffentlicher Auftraggeber neue Wege gehen will, muss intern Rückhalt und Legitimation haben. Wird der Beschaffungsprozess aber als „intransparent“, „willkürlich“ oder „einseitig gesteuert“ erlebt, blockieren Unsicherheit und Angst notwendige Gestaltungsräume.
4. Fehlende Wirtschaftlichkeit = keine Skalierung, kein Lernen, kein Transfer
Innovationen entfalten ihren Nutzen meist erst über Zeit, durch Transfer, Wiederverwendung und Skalierung. Wird jedoch die wirtschaftliche Bewertung durch fehlenden Wettbewerb verzerrt, kann der Staat nicht erkennen, welche Lösung wirklich tragfähig ist. Es fehlt die Vergleichbarkeit – und damit eine zentrale Voraussetzung für strategische Steuerung.
Fehlende Wirtschaftlichkeit wirkt daher wie ein Innovationshemmer auf der systemischen Ebene: Es entstehen keine belastbaren Kosten-Nutzen-Analysen, kein Lerneffekt aus erfolgreichen (oder gescheiterten) Pilotprojekten, keine systematische Weiterentwicklung.
Fazit
Vereinfachung ist kein Selbstzweck – besonders nicht in der Innovationsbeschaffung.
Der Bundesrechnungshof hat es schon 2012 festgestellt: Weniger Regeln führen zu
❌ weniger Wettbewerb
❌ geringerer Wirtschaftlichkeit
❌ höheren Marktzugangsschwellen
Gerade für die Innovationsbeschaffung ist das fatal. Denn:
✅ Innovation braucht Vielfalt – und die entsteht nur durch fairen Wettbewerb
✅ Routinen verhindert Fortschritt
✅ Intransparenz zerstört Vertrauen
✅ Fehlende Wirtschaftlichkeit verhindert Skalierung
Öffentliche Innovationsprozesse brauchen Regeln, die Beteiligung sichern, Vielfalt ermöglichen und Transparenz garantieren. Wer Innovation wirklich will, muss faire Verfahren gestalten – auch wenn sie im ersten Schritt mehr Zeit und Aufwand bedeuten. Denn nur so entstehen langfristig tragfähige, zukunftsweisende Lösungen für die Gesellschaft.